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Nächstenliebe mal anders formuliert

Neulich bin ich bei Ken Wilber über folgenden Satz gestoßen:

Der moralisch „korrekte“ Weg eine andere Person zu behandeln ist klassisch dadurch definiert, dass man sich dieser als ein „Du“ (als ein Träger von Subjektivität und Bewusstsein) annähert und nicht als ein „Es“ oder „Ding“ (bloß ein Objekt, um es zu manipulieren).

Ken Wilber, im Nachwort zu Paul Smith: Is your God Big Enough, Close Enough, You Enough? , S. 367. [Eigene Übersetzung]

Er hat mich an das erinnert, was der Gehirnforscher, Autor und Redner Gerald Hüther immer wieder betont: Co-Creation entstehe dann, wenn Menschen sich wirklich aufeinander einließen: wahrhaft inter-subjektiv.

Das wir heute meistens anders miteinander umgehen, ist auch Ergebnis unserer Gesellschaft als ganzem:

In der egozentrischen Welt […] werden auf zwischenmenschlicher Ebene […] andere Menschen hauptsächlich als Objekte wahrgenommen oder lediglich als Versatzstücke des eigenen, selbstwichtigen und beziehungslosen Dramas bzw. als Konsumenten im sich stets vergrößernden nationalen Bruttoinlandsprodukt betrachtet. Wie kann diese Person zur Erfüllung meiner Bedürfnisse oder jener der Wirtschaft beitragen? Auch Kinder werden bereits dazu erzogen, sich auf diese Weise zu betrachten, also nicht auf ihre natürlichen Eigenschaften, sondern auf ihren sozialen oder ökonomischen Wert.

Bill Plotkin, in: Natur und Menschenseele, S. 206.

Aus meiner Sicht ist das eine wunderbare Neu- oder Andersformulierung des Gebotes der Nächstenliebe, das uns von Jesus überliefert ist (Matthäus 7,12 „Genau so, wie ihr behandelt werden wollt, behandelt auch die anderen!“):

Sehe den anderen als den, der ein „Ich“ in seiner Welt ist, genau auf dieselbe Art, wie du ein „Ich“ in deiner.

Das ist aber unendlich schwer. Viel schwerer, als den anderen zu einem Objekt meiner Fürsorge, meiner Projektionen, meiner Bedürfnisse und Wünsche zu machen. Denn dann erkenne ich plötzlich die Fremdheit, das Anderssein des Anderen.

Der Philosoph Emmanuel Levinas meinte deshalb, dass wir dem Anderen nie gerecht werden können. Er bleibt immer absolut anders. Martin Buber dagegen macht uns Hoffnung, dass es einen Raum geben könnte zwischen „Ich“ und „Du“, wo echte Begegnung stattfindet. Ich tendiere dazu, beide Thesen, auch wenn sie paradox erscheinen, für wahr zu halten:

Hier, in diesem Leben, sind wir wirklich getrennt. Ich kann nicht plötzlich in das Leben eines anderen schlüpfen und subjektiv aus den Augen des anderen herausschauen. Doch im Einheitsbewusstsein, spätestens aber wohl im Jenseits, lösen sich diese Trennungen wieder: Dann erkenne ich den anderen als Teil des höheren „Ichs“, dessen Teil auch ich bin. In einer höheren Einheit sind wir nicht mehr zwei, sondern ein Subjekt.

Übrigens gilt das nicht nur für uns Menschen, sondern alle Kreaturen, auch Tiere und Pflanzen.

Zum Abschluss noch ein Zitat des christlichen Schriftstellers C.S.Lewis:

Es ist eine ernste Sache, in einer Gesellschaft potentieller Götter und Göttinnen zu leben und sich daran zu erinnern, dass selbst die langweiligste und uninteressanteste Person, zu der du sprichst, eines Tages eine Kreatur sein könnte, die, wenn du es jetzt sehen könntest, stark versucht wärst, zu verehren. Wenn wir die Tiefe der anderen, die wir treffen, kennen würden, würden wir sie lieber jetzt verehren statt auf den Himmel zu warten.

Weight of Glory, 1976, S. 45f., eigene Übersetzung aus dem Englischen

Klar, das Ganze klingt auch sehr, vielleicht zu idealistisch. Bei der Unzahl an Menschen, denen wir täglich allein beim Einkaufen oder auf der Arbeit über den Weg laufen, wäre es sicher eine Überforderung, zu jedem Menschen eine solche Beziehung aufbauen zu wollen… Aber um die Magie zu spüren, reicht es, glaube ich, wenn wir uns daran ab und zu erinnern, wenn wir unseren Ehepartnern, Kindern, Freunden, Haustieren oder auch einem Fremden in die Augen schauen. Was meint ihr?

Viel Liebe und Licht (diese etwas kitschige Formulierung habe ich Luke Healy abgeschaut)!

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