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Engel und Dämonenglaube – überholt?

Als ich 2009 an der staatlichen Universität Belarus Orthodoxe Theologie studierte, gab es so einiges, was auf mich zunächst befremdlich wirkte. Zum Beispiel, als ich erfuhr, dass die nächste inhaltliche Einheit, mit der wir uns befassten, die Lehre von den Engeln und Dämonen war. Als unser Dozent während der Vorlesung plötzlich von einem persönlichen Erlebnis mit einem Dämon zu erzählen begann, schob ich das auf meine unzureichenden Sprachkenntnisse und ging davon aus, dass ich mich sicherlich verhört hatte. Und trotzdem begann da etwas in mir sich die Frage zu stellen: Was, wenn doch? Was, wenn es doch wirkliche Engel und wirkliche Dämonen gäbe? Wenn sie nicht nur vormoderne, prärationale Bilder für innerpsychische Vorgänge wären, sondern reale, intelligente, körperlose Wesenheiten, für deren Gegenwart wir im Gegenteil erst im transrationalen empfänglich werden?

Sobald unser Bewusstsein sich über die Begrenzungen der Persönlichkeit hinaus bewegt, können wir diesen Engeln des Lichts und der Dunkelheit unmittelbar begegnen.

Jim Marion, Der Weg zum Christusbewusstsein, S. 123

Als ich während meinem Vikariat im Studienzentrum übernachtete, wurde mir eine Ahnung von der dunklen Seite Gottes geschenkt: Ein Aufgebot an dunklen Naturgewalten, düster aufziehenden Wolken und einem aufkommendem Sturm, bedrohlich und ehrfürchtigen Schrecken einflößend. Ich spürte, dass ein großer dunkler Engel neben meinem Bett stand und seine Fledermausschwingen über mich breitete. In dem Übergang von Schlafen und Wachen sah ich ihn wirklich vor mir stehen, bis seine Erscheinung meinem Tagesbewusstsein wich.

Jim Marion berichtet in „Der Weg zum Christusbewusstsein“, dass er in der dunklen Nacht der Seele häufig nachts von Geistern heimgesucht worden sei und warnt davor, mit Dämonen/negativen Energien leichtfertig umzugehen. Die eigene innere Negativität sei mit der Negativität und Dunkelheit anderer Geschöpfe im Universum verbunden.

Aus der Biografie des integralen Denkers Aurobindo von Georges Van Vrekhems erfuhr ich, dass dieser dem Wirken von Geistwesen große Bedeutung für den Verlauf der Weltgeschichte beimaß. Hitler z.B. verstanden er und seine medial geschulte Gefährtin, „die Mutter“ genannt, als ein von einem Dämon besessenes Medium.

Das machte mich stutzig: Wie konnte es sein, dass selbst ein transpersonaler Philosoph und erleuchteter Meister so sprach?

Aber seine Erklärung erschien schlüssig: Tatsächlich beschäftigten sich Hitler und sein nationalsozialistisches Umfeld viel mit Okkultismus und vieles spricht für die These, dass Hitler bei diesen Sitzungen in Berührung mit einer Macht kam, der er, von seinem spirituellen Reifegrad, nicht gewachsen und damit ausgeliefert war. (Der Stern des Abgrunds, siehe Quellen)

Diese feindlichen Mächte seien so stark geworden, weil zeitgleich ein neues, das transrationale (oder supramentale) Bewusstsein im Kommen gewesen sei. Nach dieser Logik müssten wir heute, wenn wir auf einen kollektiven Wechsel in höhere Bewusstseinsstufen hoffen, damit rechnen, dass die Mächte, die sich dagegen auflehnen, gar noch stärker werden. Sie dienen, wie es die Rolle des Teuflischen ist, der Prüfung und damit ebenfalls der Bewusstseinsentwicklung.

Diana Reiter, die sich intensiv mit Aurobindo auseinandergesetzt hat, schrieb mir dazu:

Aurobindo geht davon aus, dass es Wesenheiten auf allen Stufen der menschlichen Entwicklung gibt. Zum Beispiel auf der vitalen Ebene erleben Menschen Wesenheiten, die einen Einfluss auf sie ausüben, dem sie sich nicht entziehen können. Aurobindo spricht mal von okkulten Kräften, von Mächten oder Kräften oder von feindlichen Mächten/Kräften. Jede Bewusstseinsebene hat Kräfte und eine ausübende Macht.

Der Unterschied ist der, dass ein Mensch auf der vitalen-psychischen Ebene diesen Kräften eine eigene Existenz zuschreibt, wärend auf höheren Bewusstseinsebene für Menschen auf der Höhe Kräfte/Mächte ein Ausdruck der göttlichen Kraft ist.

Beispielsweise gibt es im Buddhismus die höheren Buddhas, die einem in der Meditation erscheinen können und eine Übertragung der Lehren an den Schüler geben. In dem Fall sind das höhere Aspekt des Selbst, mit denen wir Kontakt aufnehmen. Ein/e Praktizierende/r auf integraler/petrol Stufe ist sich dieser Kraft seines Selbst bewusst. Oder auf der subtil-kausalen Ebene können für Menschen mit höherer Perspektive Engel erscheinen und bei der Heilung helfen. Aber das Bewusstsein ist da, dass es Aspekte des Göttlichen-Seins sind. Auf der vitalen Ebene sind Wesenheiten, die einem was ins Ohr flüstern, einem Erscheinen und Angst einflößen Aspekte des niederen Selbst. Da ist es viel dunkler und unbewusster. Menschen auf dieser Ebene habe sich noch nicht mit dem Göttlichen in sich und um sich herum identifiziert und erleben diese Wesen auch als machtvoll und böse oder gut. Diese Wesen existieren auf z.B. der vital-psychischen Stufen real, es ist auch möglich mit ihnen zu kommunizieren und Anweisungen zu erhalten. Sie können einen aufsuchen und Einfluss nehmen. Aber nur solange und in dem Maße wie der Mensch diesen Kräften eine Realität bzw. Existenz zuschreibt.

Die wesenhaften Kräfte/Mächte sind für Aurobindo alle ein Ausdruck des göttlichen Seins auf verschiedenen Stufen. Sie sind insgesamt absolut real, da sie ja Seinsweisen sind. Auswirkung und Einfluss dieser Kräfte/Mächte auf unsere Erde seien aber sehr gering. In anderen Seins-Ebenen haben diese einen größere Wirkungsgrad: Im subtilen Bereich tummeln sich verschiedene Wesenheiten, die im Kausalen transzendiert werden.

Diana Reiter

Das passt zu der in der Bibel beobachtbaren religionsgeschichtlichen Entwicklung vom Polytheismus zum Monotheismus, in dessen Folge Götter neu als Engel und damit als Diener des einen, höchsten Gottes gedacht wurden.

Wenn solche Wesenheiten sich vor allem auf der subtilen Ebene tummeln, wird verständlich, warum wir bestimmte Zustands-Erfahrungen brauchen, um mit ihnen in Kontakt zu kommen. Für die meisten Menschen wird das der Traum sein – oder auch Visionen. Auch das stimmt mit den Engelserfahrungen überein, die wir in der Bibel finden: Jakobs Traum von der Himmelsleiter Gen 28, Der Prophet Sacharja (1) redet mit einem Engel, ein Engel erscheint Josef im Traum Matthäus 1, Jesus wird vom Teufel versucht Matthäus 4 etc.

Der Schöpfungstheologe Matthew Fox und der Biologe Rupert Sheldrake unternehmen in ihrem Buch „Engel. Die kosmische Intelligenz“ den Versuch, die Möglichkeit von Engeln in ein (trans-)rationales Weltbild zu integrieren. Dabei nehmen sie drei christliche Denker zur Hilfe: Dionysius Areopagita, Hildegard von Bingen und Thomas von Aquin. Sie schlussfolgern:

Alle Kulturen, wie auch die unsere, nehmen die Existenz von Geistwesen jenseits der menschlichen Ebene an. […] In einer […] mechanistischen Welt haben Engel keinen Raum, außer vielleicht als psychische Phänomene, die nur in unserer Einbildung existieren. […]

12, 24

Nach dem heutigen Stand der Naturwissenschaften sei es jedoch wieder möglich, Engel neu zu denken.

Für jede Seins/Existenz-Ebene könne es Arten von nichtmenschlichem Bewusstsein/Intelligenzen geben. Auch die Erde, die Sonne und die Sterne könnten über ein eigenes Bewusstsein verfügen. Denke man sich die Welt als eine Holarchie, eine eingefaltete Hierarchie von Holons (Teilen, die wiederum Ganzheiten bilden, wir erinnern uns an Koestler und Wilber) könnten Engel und Seelen als unsichtbare, alles organisierende Felder gedacht werden. Das passe auch zu ihrer traditionellen Rolle als Vermittler, Boten, die wie Felder eine verbindende Funktion einnähmen.

Was meint ihr dazu? Habt ihr selbst Erfahrungen mit Engeln oder gar Dämonen gemacht? Ist das ein Thema, was wieder aufbelebt werden sollte?

Quellen:

Vrekhem, Georges Van: Über den Menschen hinaus. Leben und Werk von Sri Aurobindo und Mutter, https://www.aurobindo.ru/workings/other/van_vrekhem-leben_und_werk_g.pdf

Der Stern des Abgrunds. Das Medium Adolf Hitler im Lichte Sri Aurobindos und Der Mutter, Satparam, https://www.aurobindo.ru/workings/other/der_stern_des_abgrund.pdf

Matthew Fox/Rupert Sheldrake: Engel. Die kosmische Intelligenz. Kempten, 1996.

Bild: Richard Mayer, CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons

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