Hat Christus wirklich gelitten?

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Von Eduard Fassel

Zugegeben eine furchtbar plakative Eingangsfrage – innerhalb eines traditionellen Religionsverständnisses fast schon peinlich angesichts dessen, was Christus in seiner Passion zu erdulden hatte.

Die Evangelien berichten von einer Geißelung mit den für die damalige Zeit üblichen Marterwerkzeugen, von erbarmungslosen Verleumdungen und Schmähungen der Person, von sechs Stunden am Kreuz. Doch über all der Grausamkeit vernehmen die Umstehenden jene seltsam losgelösten Worte: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Nun also die Frage etwas seriöser formuliert: Wie kann ein Mensch, dem derartiges Leid zugefügt wurde, so etwas sagen? Für seine Mörder beten…? Diese außergewöhnliche Reaktion wird immer mit dem göttlichen Erbarmen und der Feindesliebe verbunden. Doch pragmatisch betrachtet, kommt man zu der einfachen Feststellung, dass sie ihn nicht verändern konnten. Egal, was sie auch taten, der augenscheinlichste Wesenszug Jesu, seine Barmherzigkeit, bestand bis zum Schluss. Wie ist das in einer derartigen Extremsituation möglich?

Es soll jetzt nicht um bestimmte Denkkategorien gehen wie Gnostik oder Anthroposophie – Leiden kann ein Mensch ganz objektiv nur in seinem Körper, in seinen Gedanken und in seinen Gefühlen. Ist es einem Menschen aber möglich, einen Spalt oder eine Distanz gegenüber dieser physischen „Leidensebene“ zu schaffen, dann erfährt er dort zwar Schmerz, aber er wird nicht zum Leid. Die Worte Christi am Kreuz deuten sehr klar darauf hin, dass in ihm ein solcher Abstand bestanden hatte, so dass er im innersten seines Wesens auf sonderbare Weise von der Marter unberührt geblieben ist. Es wird auch in diesem Sinne gewesen sein, dass Er zu seinen Jüngern sagte: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, danach aber nichts weiter tun können!“ (Lk 12,4)

Wieder naht Ostern. In der Osterzeit wird traditionell an jedem Freitag der Kreuzweg gebetet, die 14 Leidens-Stationen von der Verurteilung bis zur Schädelstätte Golgota. Mit der Tradition kann es heute leider so sein, dass sie mehr Fragen aufwirft, als dass sie praktische Wege anbietet. Ich kann die Bedeutung dieser seit dem Mittelalter bestehenden Gebetstradition nur so deuten, dass dieses „Mitgehen“ mit Christus die eigene Hingabe an Ihn stärken soll, in der übergeordneten Betrachtung, dass Er es „für mich getan hat“. In diesem Bewusstsein vollzogen, wird es zu einer Teilnahme an einem immensen Opfer, in dem Christus sein Leben hingegeben hat, um uns eindringlich dazu zu bewegen, auch Ihm unser Leben hinzugeben.

Nichts gegen Tradition, aber auf einen eher rationalen Zeitgeist wirkt dieses wiederholte „Zelebrieren“ der Passionsgeschichte oftmals befremdlich. Zu verstaubt, überhöht oder konstruiert mutet vieles im kirchlichen Gebaren an. In diesem Fall kann das bereits gesagte Klarheit und Zugang verschaffen: Die österliche Passion ist immer auch eine Vergegenwärtigung, dass nichts Christus verändern konnte, egal in welche Lebenssituation er gestellt wurde. Das ist definitiv eine Qualität, für die die Bezeichnung „Menschensohn“ nicht mehr ausreicht, die Ihn zum „Gottessohn“ macht. Die Verurteilung deswegen führt zu ihrer Demonstration (und das auf eine Weise, die uns Menschen viel näher liegt als die Auferstehung).

Bei uns verhält es sich für gewöhnlich nicht so. Ein Lob hebt uns hoch hinaus, ein scharfes Wort lässt uns verstört zurück. So werden wir ständig vom Leben geformt, und gerade schmerzhafte Erfahrungen hinterlassen in uns Spuren von Angst, Bitterkeit und Zorn. Dabei sollten doch auch wir auf die Stufe dieses erhabenen inneren Losgelöstseins von der Welt gelangen! Die praktischen Wege hin zu einer Erfahrung dieser spirituellen Dimension jenseits des Physischen müssen erkundet werden. Nur dann werden Heiterkeit und Gelassenheit zu unserem natürlichen Wesenszug. Frohe Ostern in diesem Sinne!

2 comments

  1. Naja, ich weiß nicht recht. Dass Christus im Innersten nicht gelitten habe, kann ich so nicht nachvollziehen. Die erhabenen Worte finden sich ja eher in den späten Evangelien. Bei Markus stirbt er mit einem unartikulierten Schrei. Bei Matthäus mit den Worten: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Ich sehe in Jesus Mensch und Gott. Das alte Paradoxon. Und das eine, das Menschsein, ist nicht un-wesentlicher als das andere, er ist beides zu 100 Prozent. Und allein deshalb kann ich mich ihm in meiner menschlichen Gebrechlichkeit anvertrauen. Weil in seinem echten innerlich und körperlich durchlebten Leid mein Leid im doppelten Sinne aufgehoben ist. Das andere kommt mir in der Tat zu doketistisch rüber.

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