„Jesus. Meister der Weisheit“ von Cynthia Bourgeault

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Endlich ist eines der vielen Bücher von Cynthia Bourgeault, „The Wisdom Jesus“ von 2008, auf deutsch übersetzt und veröffentlicht worden. Zu verdanken haben wir das den Verlegern Helga Jacobsen und Robert Cathomas, deren Kleinverlag Chalice sich auf spirituelle Literatur spezialisiert hat.

Ein Facebook-Freund, der ihren Namen zum ersten Mal hörte, fragte scherzhaft, ob sie eine Art „weiblicher Richard Rohr“  sei. Ich denke, das trifft es tatsächlich ganz gut, schließlich arbeitet sie selbst seit langem mit diesem im „Center for Action and Contemplation“ zusammen. Sie ist Ordensgeistliche, Autorin und international bekannte Retreat-Leiterin. Hier hatte ich über ihr neuestes Buch geschrieben.

In dem Buch „Jesus. Meister der Weisheit. Was er wirklich lehrte über die Verwandlung unseres Herzens und unseres Bewusstseins“ argumentiert Cynthia Bourgeault in zwei Schritten:

  1. Zunächst dafür, dass Jesus ein Lehrer (Rabbi) der Weisheitstradition war
  2. und dann dafür, was ihn als Lehrer innerhalb dieser Tradition, so einzigartig und selten machte.

Bourgeault stellt fest, dass es zwei Schwerpunkte gab, Jesus Wirken zu verstehen:

  1. Als Erlöser (von Sünden) (hauptsächlich im Westen), die Soteriologie (von „soter“, Retter)
  2. als jemand, der zur Verwandlung unseres Denkens und unserer Herzen aufrief, (hauptsächlich im Osten), die Sophiologie (von „Sophia“, Weisheit)

Vier Funde der neueren Zeit deuteten auf letzteres hin: 1. Die Schriften bei Nag Hammadi, darunter das Thomasevangelium, 2. die sog. syrischen Studien, 3. die Schriftrollen bei Qumran und schließlich 4. die Wiederentdeckung der eigenen kontemplativen, mystischen Traditionen aus der frühen Zeit des Christentums.

Deshalb sieht sie die Absicht in Jesu Wirken wie Jim Marion (Autor von „Der Weg zum Christusbewusstsein„) in der Bewusstseinstransformation (S. 95). Jesus sei kein „Hinterwäldler“ gewesen, sondern ein gebildeter Bürger. Seine bevorzugte Redeweise, die Gleichnisse, seien in ihrer Intention den Koans im Zen ähnlich: Es gehe darum, dass das Gesagte mit unserem althergebrachten, gewöhnlichen Bewusstsein nicht verstehbar sei und uns daher darüber hinaus führe. Jesus wäre dann mehr ein „Erleuchteter“ als ein „Erlöser“ gewesen.

Das Problem des ersteren Verständnisses beschreibt sie wie folgt:

Praktisch die gesamte christliche Lehre beginnt mit der Annahme, dass die Menschwerdung Jesu aufgrund von Adams Fall herbeigeführt worden und als Antwort darauf geschehen sei. […] also wird die Inkarnation von Beginn an in einen Zusammenhang gebracht, der besagt, dass sie Gottes Antwort auf einen Fehler gewesen sei, der nie hätte passieren dürfen. (116)

Innerhalb der Weisheitstraditionen unterscheidet Cynthia Bourgeault zwei verschiedene Wege:

  1. Den der Askese (typischer Vertreter sei Johannes, der Täufer)
  2. den der Kenosis.

Bei der 1. Askese versuche jemand, durch Meditation, Gebet, Fasten etc. seine spirituelle Energie zu konzentrieren. Sie nennt es auch „Aufstiegs-Mystik.“

Jesus sei insofern einzigartig, als dass er konsequent den letzteren Weg gegangen sei, die 2. „Abstiegs-Mystik“. Sie fasst diesen unter den Begriff der „Kenosis“, der das Hinabsteigen, das Sich-veräußern, Sich-Verschenken Gottes meine.

Es gibt eine andere Route ins Zentrum: ein freudigerer und auch extravaganterer Weg, den man nicht durch das Aufspeichern dieser Energie oder durch die Konzentration der Lebenskraft beschreitet, sondern indem man alles wegwirft – oder alles verschenkt. (S. 84)

Auch Ken Wilber spricht von zwei Richtungen des Göttlichem, dem Austieg und dem Abstieg, die im Göttlichen selbst aufgehoben sind bzw. in eins fallen („Nondualität“).

Bourgeault scheint Jesus vor allem dem zweiten Bereich, dem Abstieg, zu zuordnen. Man könnte hier anfragen, ob es nicht sinniger wäre, davon zu spreche, dass Jesus beide Wege auf einzigartige Weise miteinander kombiniert hat. Für keinen Geschmack spielt sie diese beiden Wege zu sehr gegeneinander aus, anstatt sie als die zwei Pole zu sehen, zwischen denen der Tanz in seinem Wirken stattfindet. Denn mir leuchtet nicht ein, wie Jesus ohne besondere Techniken der „Energiekonzentration“ so viel Menschen angezogen und geheilt haben soll. Verschenken ist gut – aber wo nichts ist, kann auch nichts verschenkt werden… das nur als kleiner Kritikpunkt von mir.

Dennoch finde ich die Grundthese im Kern genial: Es gehe nicht um Verzicht, sondern darum, sich an nichts festzuklammern (um Nicht-Anhaftung). Denn: Manchmal verzichtet jemand äußerlich auf etwas und bleibt deshalb innerlich dadurch umso stärker an etwas kleben.

Den Abschluss des Buches bildet ein praktischer Teil, in dem sie verschiedene spirituelle Praktiken vorstellt, die dabei helfen können, dieses Loslassen und Leerwerden, das Jesus Bewusstsein auszeichnete, zu üben. Darunter fällt v.a. das Zentrierende Gebet (Centering Prayer), aber auch die Lectio Devina, das Chanten von Psalmen oder die Willkommensübung. Diesen Teil empfinde ich als besonders wertvoll, weil es Bourgeault, vermutlich durch ihre langjährige Tätigkeit als Lehrerin, gelingt, jeweils kompakt und treffend klar zu machen, worin der Sinn und die jeweilige Eigenart oder Besonderheit einer bestimmten Übung liegt.

Fazit: Für jeden, der die Bücher von Richard Rohr liebt, sind auch ihre Bücher ein absolutes Muss.

Hier gehts zur Verlagsseite: https://chalice-verlag.de/jesus-weisheit-cynthia-bourgeault/

Zur Person selbst:https://cynthiabourgeault.org

Dem Verlag danke ich ganz herzlich für das Rezensionsexemplar!

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