Gott – der bessere Psychotherapeut?!

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Vor längerer Zeit hatte ich einmal das Vergnügen einer Reiki-Sitzung beizuwohnen, die von der Tante einer guten Freundin für uns veranstaltet wurde.

Im Anschluss fragte sie: „Und? Was habt ihr gefühlt?“ (oder so ähnlich) Meine Freundin zog es vor, zu schweigen. Ich gab zu, dass ich sehr gründlich die Dunkelheit in meinem Inneren wahrgenommen hatte, die mich vom Licht trennt – das Licht selbst jedoch leider kein Stück.

Die Tante war ganz aus dem Häuschen: Das sei so, weil die Kirche mir das eingeredet habe! Dabei sei all das mit der Sünde nur eine Lüge, um mir Schuldgefühle einzureden und mich manipulieren zu können.

Nunja. Ich will diese Gefahr nicht leugnen. Dennoch sind sich alle spirituellen Meister einig, dass es sehr viel Dunkelheit auszuhalten und zu durchschreiten gilt, um in das Licht (oder sagen wir: ein Einheitserlebnis mit dem Göttlichen) zu kommen. Das geht eben normalerweise nicht einfach ratz-fatz in einer einstündigen Beschwörung!

Wir alle sammeln in unseren Leben kleinere und größere emotionalen Wunden oder gar seelische Erschütterungen, die wir vergessen wollen, verdrängen, wegschieben. Doch gerade diese Wunden sind es, die uns daran hindern, uns eins, heil, ganz zu fühlen. Natürlich können wir uns in die Tasche lügen – und ich behaupte jetzt mal ganz frech, dass das bei uns Christen weit verbreitet ist – und sagen: Wir sind doch errettet und erlöst und dankbar und froh…

aber wer einmal in die Gesichter einer durchschnittlichen Kirchengemeinde während dem Sonntagmorgengottesdienst geblickt hat, gewinnt einen Eindruck, der mit dieser Behauptung nur schwer in Einklang zu bringen ist.

Was beim Meditieren (oder auch aufrichtigen Beten) ganz automatisch geschieht ist schlicht, dass diese Lüge als allererste aufbricht. Wir spüren einfach, dass es dunkle Bereiche in unserer Psyche gibt und dass wir (im Normalfall) nicht nur (wenn überhaupt) mit Seligkeit erfüllt sind. Und je mehr wir beten und meditieren, desto mehr kommen diese dunklen Bereiche, diese Schattenwelten in unserer Bewusstsein und wir verstehen vielleicht zunehmend besser, was mit „Sünden“ (im Plural!) gemeint sein könnte. Auch bei sehr meditationserfahrenen Menschen kommt es immer wieder vor, dass alter Schmerz hochkommt und verarbeitet werden möchte: Schmerz über die eigene Unzulänglichkeit, aber auch über vergangene Kränkungen, unangenehme oder unerwünschte Gefühle und Erinnerungen. Und je genauer wir schauen, desto mehr kommt da.

Dieses Aufbrechen alter Emotionen ist auch der Grund, warum manche während des Gebetes plötzlich anfangen, zu lachen oder zu weinen.

Wir brauchen also sowohl viel Mut, als auch Wissen darum, wie wir mit diesem Schmerz am besten umgehen. Dabei helfen uns geistliche Bücher, aber auch – noch besser – geistliche Begleiter, die diesen Prozess bereits durchlaufen haben.

Jim Marion, der Autor von „Der Weg zum Christusbewusstsein“ beschreibt, was passiert, wenn jemand schon länger auf dem Weg der Kontemplation unterwegs ist. Irgendwann käme eine Phase, in der der Meditierende subtile göttliche Energien empfinge, deshalb werde diese auch die „eingegossene Kontemplation“ genannt. Sobald diese höheren Energien (Frequenzen) auf die uns gespeicherte Negativität träfen, fühle der Mensch psychische als auch körperliche Schmerzen, auch in Form von plötzlich auftretenden Krankheiten.

„Ein sehr großer Vorzug dieser natürlichen Psychotherapie liegt darin, dass die Ursachen der inneren Negativität gar nicht mehr berücksichtigt werden müssen, denn wir wühlen ja auch nicht durch den Abfall der letzten Woche und sagen: „Ah, hier sind die Reste des Abendessens von Sonntag, und hier ist das Mittagessen von Dienstag.“ Man entsorgt den Müll einfach, und das war’s.“

Die Reinigung sei gründlicher, außerdem werde auch das gereinigt, von dem wir gar nichts wüssten – ohne uns dadurch bewusst mit allem vergangenen Schmerz erneut auseinandersetzen zu müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass es leicht(er) sei – nicht umsonst werden die Phasen, in denen die Umwandlung des Schmerzes passiert, auch „dunkle Nächte“ genannt.

Jedoch entstehe der meiste Schmerz, so Marion, durch unseren Widerstand. Besser sei es, dem Dunklen, was aufbräche, der Angst, der Aggression, dem Zorn, der Wollust, dem Neid etc. Mitgefühl entgegen zu bringen, statt sich dagegen zu sträuben.

Thomas Keating, einer der Begründer des „Gebet(s) der Sammlung (Zentrierendem Gebet)“ schreibt ebenfalls über den Prozess der inneren Reinigung:

„Diese Dynamik ist eine Art göttlicher Psychotherapie, die auf jeden von uns in natürlicher Weise abgestimmt ist, um unser Unbewußtes auszuräumen und von allem zu befreien, was das ungehemmte Einströmen der Gnade in Körper, Geist und Gemüt behindert“

(148, Das Gebet der Sammlung)

Beide kommen zu dem Schluss, dass die Phase uns zu der Einsicht führt, dass wir viel mehr Schattenseiten haben, als wir uns das bisher zugestehen wollten. Das könne wiederum zu mehr Mitgefühl mit anderen Menschen führen, weil wir uns nicht mehr als „bessere Menschen“ wähnen als diese.

Auch Keating sieht einen gewaltigen Unterschied zur normalen „Psychotherapie“ und zieht einen ähnlichen Vergleich:

„Bleibst du der täglichen Übung des kontemplativen Gebetes treu, so finden diese seelischen Wunden Heilung ohne erneute Traumatisierung… Niemand verlangt von dir, die Abfälle durchzusehen […] wirf alles in eine einzige große Mülltonne.“ (151f.)

Für den Umgang mit aufkommenden Gefühlen empfiehlt er, diese einfach zuzulassen und zu fühlen, als ob wir in diesem Gott selbst empfingendann vergingen sie irgendwann von selbst. In der Regel sei jedoch das beste, einfach zu dem heiligen Wort (oder Mantra) der kontemplativen Praxis zurückzukehren, ohne diesen Beachtung zu schenken.

„Irgendwann“ ist gut. Tatsächlich stelle ich momentan fest, dass es Schmerz gibt, der so tief sitzt, dass er wieder und wieder gefühlt werden möchte. Aber durch das Meditieren bin ich ihm nicht mehr ausgeliefert: Ich weiß, ich kann ihn zulassen, ich kann ihn beobachten, erforschen, wo er seinen Sitz im Körper hat, ich versinke nicht mehr darin. Den Schmerz annehmen bedeutet für mich aber zugleich, mich nicht von den Gefühlen abzuspalten und sie als bedeutungslos abzutun – denn dadurch würde  nicht nur jegliche Schattenarbeit erschwert, sondern überhaupt einem wichtigen Bestandteil in unserem Leben kein Raum mehr gelassen: Was, wenn Gott diesen, ja, genau diesen Schmerz jetzt gerade durch mich erfahren möchte?

Manche empfehlen auch, bei sehr starken Gefühlen besser aktive Meditationsformen auszuprobieren wie die von Osho oder durch expressives Tanzen zu Musik (ich habe das lange in Verbindung mit Ölmalen praktiziert und hatte dabei meine tiefsten Einheitserfahrungen mit Gott).

Noch ein Punkt, der mir persönlich immer klarer wird: Wir unterdrücken durchaus nicht nur die sogenannten „negativen“ Emotionen, sondern oft auch positive, z.B. wenn wir uns nicht erlauben, jemandem gegenüber starke Liebe oder Zuneigung empfinden zu dürfen. Überhaupt erscheinen mir erstere Emotionen fast ausschließlich eine Folge davon, dass unser natürlicher Impuls zum Ausdruck der Liebe hin aus verschiedenen Gründen unterdrückt oder verunmöglicht wurde… noch ein Grund für Mitgefühl mit uns selbst.

Welche Erfahrungen habt ihr auf eurem Weg mit aufbrechendem Schmerz und Emotionen gemacht? Habt ihr weitere Tipps, wie sich damit umgehen lässt?

Bild von Karen Smits, Pixabay

8 comments

  1. Hallo Sandra,
    ich finde es bemerkenswert, dass Du „tiefen Schmerz“, aber auch „tiefe Einheitserfahrungen“ erwähnst, dass also beides erfahrbar sein kann. Als ob es keine „Stufen“ geben würde…
    Ich kann allgemein nicht verstehen, warum in der Welt der Religion nicht mehr Augenmerk auf diese von Dir beschriebene innere Haltung gelegt wird. Denn streng genommen ist es die einzige Art, wie man gut leben kann, also christlich gesprochen (und furchtbar altbacken): mit dem Kreuz auf der Schulter. Vielleicht ist es deswegen, warum es heißt, dass Religion an sich nur für wenige ist. Das ist kein in erster Linie angenehmes Leben, das kann man wirklich nicht sagen, aber es ist ein sicheres, weil man ständig „abarbeitet“. So läuft man nicht Gefahr, eines schönen Tages von einer riesigen Ladung überrumpelt zu werden, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht ist. Meistens sind es jedoch solche existentiellen Lebenskrisen, die die Mensch erst veranlassen, einen Weg zu suchen.
    Für mich war dieser Weg oder innere Haltung teuer, es kann auch viel sinnlosen oder unproduktiven Schmerz geben, der einfach nur in der Reibung mit dem Kreuz besteht, ohne dass dadurch eine Veränderung geschieht. Ich kann nur jedem wünschen, möglichst schnell zu dieser inneren Haltung zu finden, jenseits von Verbissenheit und Verdrängung.

  2. Danke Sandra, besonders für die Sätze: “ (ein Gefühl) zu fühlen, als ob wir in diesem Gott selbst empfingen“ und „Was, wenn Gott diesen, ja genau diesen Schmerz jetzt gerade durch mich erfahren möchte?“

  3. Du wirst die Wahrheit nicht erkennen, solange du dich mit Praktiken der Dunkelheit (Dämonische Praktiken) befasst. Dämonen erhalten so, viel zu viel Einfluss auf dein Leben, wie ein offenes Einfallstor, und sie können allzu gut Lügen erzählen und dir für wahr verkaufen- ja, sogar in der Meditation. Ich habe ebenfalls Reiki Gegeben und Genommen.

    1 Ich versichere euch: Wer sich über die Mauer in den Schafpferch schleicht, statt durchs Tor hineinzugehen, ist ein Dieb und ein Räuber! 2 Denn ein Hirte tritt durch das Tor ein. 3 Der Torhüter öffnet ihm, und die Schafe hören seine Stimme und kommen zu ihm. Er ruft seine Schafe, die ihm gehören, beim Namen und führt sie hinaus. 4 Wenn er seine Herde versammelt hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. 5 Einem Fremden aber folgen sie nicht, sondern laufen vor ihm weg, weil sie seine Stimme nicht kennen.« 6 Die Zuhörer wussten nicht, was Jesus mit diesem Bild meinte, 7 deshalb erklärte er es ihnen. »Ich versichere euch: Ich bin das Tor zu den Schafen«, sagte er. 8 »Alle, die vor mir kamen, waren Diebe und Räuber. Doch die Schafe hörten nicht auf sie. 9 Ja, ich bin das Tor. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden. Wo er auch hinkommt, wird er grüne Weiden finden. 10 Ein Dieb will rauben, morden und zerstören. Ich aber bin gekommen, um ihnen das Leben in ganzer Fülle zu schenken. 11 Ich bin der gute Hirte. Johannes 10 1-11

    1. Hallo! Ich vermute, du hast meinen Artikel nicht wirklich gelesen, oder? … und Reiki praktiziere ich auch nicht, wenn dich das beruhigt. Angst vor Dämonen ist mir fremd und möchte ich nicht weiter verbreiten. Liebe Grüße

  4. Egal, ob Praktizieren oder mit Reiki behandeln, es ist eine Okkulte Praktik. Ich meine es nur lieb und nicht böse. Ich habe mich sogar gesträubt, dir einen Kommentar auf deinen Beitrag zu hinterlassen, aber ich hatte den Impuls von oben. Ich bete, dass Gott dir die Wahrheit aufzeigen wird. Alles Gute, Noemi

    1. Hallo, ich weiß, du meinst es vielleicht lieb, aber das, was du schreibst, hat mit Liebe, wie ich sie mittlerweile verstehe, gar nichts zu tun, sondern ist sogar das Gegenteil, es kommt aus der Angst und schürt neue Angst. Deshalb werde ich auch weitere Posts von dir auf meinem Blog nicht akzeptieren, um mich und andere zu schützen. Ich wünsche dir alles Gute!

  5. Hallo Sandra,
    Danke für diesen aus meiner Sicht sehr wichtigen Beitrag!
    Ich bin ein ziemlicher Kopfmensch und habe immer versucht den Schmerz zu verstehen und zu analysieren. Das hat mich weitergebracht aber nicht geheilt. Verstehen zu wollen findet halt nur in einem kleinen Teil des Körpers statt (Vorderlappen). Aber zum Menschen gehört eben der ganze Körper! Sehr weitergeholfen hat mir ( als Kopfmensch) die Entdeckung der Polyvagaltheorie (Stephen Porges). Das ist für mich der biologische „Unterbau“. -> Sehnsucht nach Verbindung und die Strategien des Nervensystems um uns am Leben zu erhalten. Der Schmerz ist verkörpert und kann über Verbindung geheilt werden und auch über Selbstmitleid/ Selbstliebe.
    Selbstliebe ist meiner Ansicht nach der Schlüssel um Schmerz zu integrieren (nicht wegmachen wollen!) und heil ( ganz) zu werden. Meiner Ansicht nach sollte das die Hauptaufgabe von Religion sein!
    Liebe Grüße
    Gudrun

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